Die blaue Linie

Aus dem Leben eines Schwimmers
Geschrieben von: Valeria Molfino at 29 Dezember '15 0
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Einmal traf ich während einer Trainingseinheit im Pool einen Langstreckenschwimmer, der gerade sein Training beendet hatte. Ich fragte ihn, wie viele Kilometer er am Tag schwimme. Er antwortete: „Ungefähr 18“.

Ich war total verblüfft und begann, darüber nachzudenken: 18 km? Im Schwimmbecken? Das sind etwa 360 Lagen im olympischen Becken oder 720 Lagen in einem 25-m-Becken. Ich fragte mich, an was er wohl denkt, während er die ganze Zeit auf die blaue Linie unter ihm starrt. Nach ein paar verdutzten Minuten begann ich zu überlegen, an was ich so denke, wenn ich schwimme und ob ich überhaupt auf die blaue Linie achte, wenn ich trainiere.

Ich glaube Schwimmen ist ähnlich wie Meditieren. Zu Beginn des Trainings achte ich noch auf den Boden des Pools, Zug um Zug, und schaue mir meinen Schatten oder das Wasser an, das mein Körper langsam aber gleichmäßig durchquert. Ich fange an, die Schwerelosigkeit zu spüren, das Gefühl von Leichtigkeit. Und ja, ich starre die blaue Linie an. Die beruhigende Markierung zeigt mir den Weg und bildet gleichzeitig den Ausgangspunkt meiner Gedankenverlorenheit, wenn ich das Becken rauf und runter schwimme. Der Farbkontrast zum Wasser hypnotisiert mich, lenkt mich ab und lässt mich alles vergessen; meine Gedanken lösen sich im Chlor auf.

Wenn man mich fragen würde, an was ich denke, während ich schwimme, dann müsste ich antworten, dass ich es nicht wirklich weiß. Wenn ich mit meinem Set, meinem Programm oder den 400-m Wiederholungen beginne, konzentriere ich mich auf die Distanz und auf die Anstrengung. Aber nach einer kurzen Weile verliere ich mich zwangsläufig und drifte in eine andere Welt.

Frag also einen Schwimmer nie, an was er denkt, wenn er schwimmt – denn er wird nicht wissen, was er antworten soll. Er wird nicht in der Lage sein, seine Gedanken, einen nach dem anderen aufzuzählen. Er wird aber eins mit Bestimmtheit sagen können: Er lässt all seine Sorgen am Beckenrand liegen, bevor er mit dem Training beginnt.

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Author

Geschrieben von:

Valeria Molfino

Valeria Molfino is a 30-year-old with lots of stories to tell. She is a keen swimmer and runner but, above all, passionate about writing. She has always been a Blogger and loves to observe and describe people and their relationships, grasping all the most deeply hidden nuances and connections. She has a degree in Media Languages to give her a deeper understanding of communication and a Master’s in Multimedia Communication, so that she can express herself more methodically and concisely. For her swimming is not just a sport, but a means of expressing freedom and lightness.